Würden Hosemann, Dörbeck oder Menzel noch heute Zeichnungen anfertigen, so hätten sie auch ihn grafisch für die Nachwelt festgehalten, als Zauberkönig von Berlin. Ungekrönt von anderer Hand und doch unangetastet auf Position, kraft seiner Persönlichkeit, seiner Aura und Gewandtheiten, welche weit über das Zauberkünstlerische hinausgingen.
Den Zauberkönig erlebten wir Jungs an zwei Orten, zum einen in seinem Zauberladen. Erst im Beisein unseres Vaters, zwei Mal im Jahr, stets in der Woche vor der jeweiligen Leipziger Messe, im Frühjahr und im Herbst, in späteren Jahren dann auch allein. Zum anderen im Theater, wenn er im Rahmen der jährlich stattfindenden Show der Zauberfreunde Berlin e.V. auf der Bühne stand. Die Vorfreude auf jegliches Wiedersehen war tagelang grenzenlos. Was hat er dieses Mal Neues im Programm? Welche Neuigkeiten verbergen sich in seinem Regal hinter dem Ladentresen?
Ich sehe, als wäre es erst vor wenigen Wochen gewesen, ihn im Frack, den tanzenden Spazierstock zwischen seinen Händen schwebend, den roten Zahnputzbecher mit weißen Punkten, der nicht verschwinden mag und die roten Billardbälle, die er aus der Luft fing und auf einem schönen verchromten Gestell platzierte.
Die Telefonnummer des Zauberkönigladens lautete 621 40 82, ich wußte sie auswendig und habe sie bis heute im Kopf. „Zauberkönigklepkejutentach“ schallte es aus dem Hörer, wenn man dort anrief, und das taten wir immer bevor wir Jungs dorthin aufbrachen, um sicher zu sein, den Zauberkönig auch wirklich antreffen zu dürfen. Die Fahrt vom Südwesten der Stadt rüber nach Neukölln mit der U- oder gar S-Bahn war in frühen Teenagerjahren eine kleine Odyssee, für begeisterte Zauberlehrlinge eine Art Wallfahrt. Mag er am Telefon eher kurz gewesen sein, so war er, wenn wir dann bei ihm waren, mit seiner Zeit und Aufmerksamkeit sehr großzügig und geduldig. Doch bevor wir den Laden betraten blickten wir sehnsuchtsvoll in eines der beiden Schaufenster, das rechte, das mit den Zaubertricks, Kästen und Büchern, nicht das linke mit den Faschings- und Scherzartikelauslagen. Es war bereits wunderbar, nur vor diesem Fenster zu stehen und in dieses hineinzuschauen, der Auftakt für unsere Stunde im Reich der Wunder und dem Privatissimum mit dem wirklichen Zauberer. Dann, uns ein Herz fassend, traten wir ein.
Tatatamm, tatatamm, tatatammtammtamm, Tatatamm, tatatamm, tata tamm tamm tamm. Diese Tonfolge klingt mir bis heute im Ohr. Es war die kleine Melodie, die jedes Mal erklang, wenn sich die Tür zum Ladengeschäft öffnete. Kaum daß wir im Laden waren, trat er vom Büro aus durch einen Lamellenvorhang in persönliche Erscheinung. Wir sagten artig „Guten Tag“, verbeugten uns wohlerzogen, nannten ihn „Großer Meister“. Er beobachtete, hörte, lachte, negierte, so wie einst Hans Albers im Film stets dementierte Sherlock Holmes zu sein, im Inneren wissend, daß er es war. – Das Eis war gebrochen. Dann begab er sich mit uns in den rechten Bereich der Räumlichkeit, den magischen Bereich und das Gespräch kam, beobachtet und belauscht von den über uns überall an der Ladendecke hängenden Masken, ins Rollen.
Auf der mit grünem Stoff überzogenen Fläche seines Ladentresens zeigte er bei jedem Besuch etwas, das hatten wir so noch nicht gesehen. Und dabei äugten wir immer in die Regale und Fächer hinter ihm, hielten Ausschau nach uns unbekannten Dingen, Requisiten, Tricks, wofür wir alles geben wollten. Betrat andere Kundschaft den Laden, so unterbrach er das Gespräch mit uns, kümmerte sich, bediente die Käufer und wandte sich dann wieder seinen jungen Bewunderern zu. Einige dieser „Kundschaftssituationen“ sind mir in besonderer Erinnerung geblieben:
Ein Herr betritt den Laden. Frage des Zauberkönigs: „Sie wünschen bitte?“, Antwort des potentiellen Kunden: „Ich möchte nur mal schauen.“ Darauf der Zauberkönig: „Dann gehen sie bitte raus und kieken ins Schaufenster, da sehen sie alles was es hier gibt.“ Der Herr verläßt das Geschäft. Ob er je wieder den Laden betrat bleibt ungewiss.
Ein anderes Mal betritt erneut ein Herr den Laden. Frage des Zauberkönigs: „Sie wünschen bitte?“, Antwort: „Ich möchte gerne das silberne Kästchen dort oben kaufen“, der Mann zeigt auf eines der oberen Regale hinter dem Tresen, er meint das Silkwonder. Erwiderung des Zauberkönigs: „Das verkaufe ich Ihnen nicht.“ Frage des Herrn: „Warum?“, Antwort des Zauberkönigs: „Ich kenne Sie nicht.“
Uns aber kannte er. Und so sahen wir dort zum ersten Mal Dice Stacking, den Chop Cup, der nur von außen so aussah ohne das Nichts in ihm drin, die Karate-Karten, die Dynamic Coins, die Kunst mit Karten zu zaubern, das Handbuch der Magie, das sagenumwobene Hofzinserbuch, die Magischen Phänomene für Varieté und Kabarett, die Fächerkarten mit den Frauenköpfen, die Fantastakiste, den klappbaren Zaubertisch, auch zwei Plexiglasröhren aus Holland, mit denen sich eine erstaunliche Münzdurchdringung zeigen lassen konnte, die Okito- und die Bostonbox, das erste Aviator Bridge Size Kartenspiel in Blau. Einiges ist bis zum heutigen Tage hier im Zauberkasten und geht mit auf jedes Engagement und an vielen Abenden verschenke ich heute noch ein kleines blaues Seidentuch aus einem Bestand, den mir seine sehr verehrte Frau Helene genäht hatte.
In viel späteren Jahren ergaben sich wiederholt Begegnungen an einem dritten Ort, nicht mehr im Laden und nicht mehr im Theater, sondern bei ihm und seiner Gattin zu Hause in Lichtenrade. Hier erzählte er über den langen Weg, den sie beide zusammen gegangen waren, wie es zum Zauberkönig kam und was vorher gewesen war. Dabei wurde erkennbar, daß die Zauberkunst einen Teil neben vielen anderen Teilen seiner und der Welt seiner Frau bildete. Diese Gespräche haben wir damals glücklicherweise aufgenommen. Auf den Bändern klingt seine Stimme unverkennbar, sein Duktus, seine Pausen, sein wohlwollender Schalk.
Der Zauberkönig Günther Klepke war der letzte seiner Art. Alle die ihn erleben durften wissen das und ziehen ihren Hut.
Stefan Alexander Rautenberg
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